Rückblick auf das 12.-Klass-Spiel: „Die Möwe“ von A. Cechov

Nach fünf Wochen Probenzeit begeisterten die Schülerinnen und Schüler unserer 12. Klasse das Publikum in vier hervorragenden Aufführungen vom 13. bis 16. Oktober 2017. Großes darstellerisches Talent, eine puristische, aber sehr einfallsreiche Bühne und eine mitreißende Geschichte machten diese Theaterabende zu besonderen Erlebnissen.

Zusammen mit Regisseur Gabriel Schunck hatte sich die Klasse im letzten Schuljahr für das Stück „Die Möwe“ von Anton Cechov entschieden und in intensiver Probenarbeit diesen russischen Klassiker erarbeitet. Entstanden ist eine absurde Komödie im Gewand eines klassischen Dramas.

So lässt sich schließlich auch die Inszenierung beschreiben. Dramatische, hoch emotionale Szenen wechseln spielend in slapstickartige, absurde Passagen. Mit großer Leichtigkeit und sichtbarer Spielfreude agieren die Darsteller über die gesamten 1½ Stunden der Inszenierung. Und dem Zuschauer fällt es schwer, sich zu distanzieren. Denn zum einen agieren die Darsteller bisweilen mitten unter ihnen, teilweise im Saal zwischen den Stuhlreihen, oder aber auf dem eigens in den Saal installierten 10 Meter langen Steg. Zum anderen schafft es Cechov mit seinem Stück und seinen Figuren so zeitlos und präzise zu sein, dass sich jeder Zuschauer in diesen Figuren wiederfinden kann. Oder zu seinem eigenen Leidwesen wiederfinden muss. Der Spiegel, in den der Zuschauer in dieser Inszenierung blickt, zeigt eine hedonistische, selbstgerechte Gesellschaft, in der zwar alle groß denken, aber immer wieder nur klein zu handeln imstande sind.

Die Probleme einzelner werden blass und verschwinden immer wieder unter dem „bunten“ Deckmantel der Nichtigkeiten, den alle Figuren nur allzu gern über die Geschehnisse werfen.

Selbst im hochdramatischen Schlussakkord des Spiels, nachdem die unglücklich verliebten Protagonisten ein letztes Mal aufeinandertreffen und unter Tränen feststellen müssen, dass sie nie wieder zueinanderfinden können und woraufhin Kostja den letzten aller Auswege, den Selbstmord, wählt – selbst in diesem Moment der unumkehrbaren Katastrophe geht das illustre Leben der restlichen Darsteller wie auf Knopfdruck munter weiter – „Bingo“ schallt es aus der kartenspielenden Runde. Und vorn auf dem Steg stehen achselzuckend „der Lehrer“ und „Trigorin“, die Sekunden zuvor noch den finalen Knall hinter der Bühne als tödlichen Schuss identifizierten. Diese Information scheint aber lediglich für das Publikum gedacht – sie selbst ziehen daraus offensichtlich keinerlei weitere Schlüsse oder gar Konsequenzen.

So bleibt der Zuschauer allein zurück mit der beunruhigenden Frage, die nach und nach zur Gewissheit wird: so sind wir, die Gesellschaft – 1895 in St. Petersburg während der Uraufführung und 2017 hier in dieser herausragenden Inszenierung – so waren und sind wir, auch wenn wir es niemals sein wollten.

(Text: Gabriel Schunck, Foto: Sonja Berkemann)